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ESCHICHTSWERKSTATT BAYREUTH  e.V. 


Memoiren des Pinhas Yoeli ehem. Günther Aptekmann

Vorwort
Pinhas Yoeli, emeritierter Professor für Kartografie an der Tel Aviver Universität, wurde 1920 in Bayreuth als Günther Aptekmann geboren.
Unser Kontakt begann mit einer Dokumentation des Zweiten Deutschen Fernsehens über Winifred Wagner, in der er als „jüdischer Nachbar der Wagners“ vorgestellt wurde  (siehe nebenstehendes Bild).


Im The Marqui’s Who’s Who in the World (16. Auflage, 1999) ist über ihn folgendes zu erfahren:
Yoeli, Pinhas (Guenther Aptekmann), Kartograph, geb. am 01.07.1920 in Bayreuth (Deutschland), Sohn von Julius Aptekmann und Edith geb. Schindler, erste Ehe mit Judith Donath: ein Sohn Dan; 2. Ehe mit Agi Iszakova seit 1949, ein Sohn: Raphael. 1938–49 Chefausbilder der Militär-Topographie der Hagana, Palästina. 1949 Gründer und Kommandant des Karten- und Foto-Nachrichtendienstes der Israelischen Armee im Rang eines Lt. Colonel (Oberstleutnants). 1956 Abschluss in den Ingenieur- wissenschaften an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich, Schweiz (Dipl. Ing. ETH). 1957–64 Senior Lecturer am Technion in Haifa, Israel, 1964–1968 Assoziierter Professor; 1968–91 Prof. an der Tel Aviv University (Israel), seit 1991 Prof. emeritus; Mitglied der Israelischen Vereinigung der Vermesser, der Vereinigung der Ingenieure und Architekten und der Israelischen Kartographie Vereinigung, deren Präsident er 1988–1991 war. Veröffentlichungen: Cartographic Drawing with Computers, Nottingham : Dep. of Geography, Univ. of  Nottingham 1982 (Rezens. von N. S. Smith in: The Geographical Journal 149,2 (1983):262-263); zahlreiche Artikel in einschlägigen Periodika. Freizeitinteressen: gärtnern, malen. Adr.: 8, Haneviim street, 64356 Tel Aviv, Israel. Büro: Tel Aviv University, Department of Geography, Ramat Aviv, Tel Aviv, Israel.“
 
Im Jahre 2004 lernte Prof. Yoeli seine nichtjüdische Verwandtschaft in Deutschland kennen. Für diese verfasste er im Anfang 2005 die folgenden äusserst aufschlussreichen und interessanten  Lebenserinnerungen.

Memoiren

Ich glaube, dass ich meinen Entschluss, Deutschland zu verlassen schon im Jahre 1932 oder 1933 gefasst habe. Ich stand vor unserem Haus in der Richard Wagnerstrasse 34 und eine Kolonne von SA Maennern zog mit einer grossen Hakenkreuzfahne und in Uniform singend an mir vorbei. Sie sangen das Marschlied dessen Melodie ich bis heute singen kann:
                             Wenn's Judenblut vom Messer spritzt
                              dann geht's nochmal so gut
                                     u.s.w.

Als diese Verbrecherhorde dann im Jahre 1933 an die Macht kam, beschloss ich – vielleicht etwas frueher als andere juedische potenzielle Opfer – endgueltig Deutschland zu verlassen. Meine Mutter war dagegen und auch der Rabbiner der juedischen Kultusgemeinde. Ich liess mich jedoch nicht davon abbringen. Kein Mensch konnte sich damals vorstellen, dass Millionen von europaeischen Juden ein paar Jahre spaeter wie Ungeziefer ermordet wuerden. Post factum stellte es sich heraus,  dass mein Entschluss auszuwandern, mir mein Leben rettete. Waere ich in Bayreuth geblieben, so waere mein Schicksal dasselbe gewesen wie das meiner Jugendfreundin Liselotte Wannbacher, die in Ausschwitz vergast wurde.
Auch in der Oberrealschule (das heutige Graf-Muenster-Gymnasium) wo ich in der fuenften Klasse war, war es unertraeglich geworden. Als einziger Jude in der Klasse war ich dem staendig  anwachsendem Judenhass ausgesetzt. Jede Woche nahm die Anzahl meiner Klassenkameraden zu, die sich der Hitlerjugend anschloss. So trat ich schon im Jahre 1935 aus der Schule aus. Ich hatte mich schon vorher an das Palaestina-Amt der Zionistischen Organisation in Berlin gewendet und gebeten, dass man mich fuer die sogenannte Jugendaliya (Einwanderung nach Palaestina von juedischen Jugendgruppen) beruecksichtigt. Um die Zeit bis zur Abfahrt auszunuetzen, ging ich nach Frankfurt/Main in eine „Yeshiva“. Dies ist eine Art Rabbinerseminar wo das ganze Studium juedischen Faechern gewidmet ist. Ich wusste sehr wenig vom Judentum und ich wollte wissen, was Judentum eigentlich ist. Ich verstand damals noch nicht, dass Judentum nicht nur eine Religion, sondern auch eine Kultur ist. Der groesste Teil der juedischen Bevoelkerung von Israel ist heute nicht religioes und geht in keine Synagoge, spricht aber Hebraeisch.
 
Soweit ueber meine Zeit in Frankfurt. Eines Nachts im Juli 1936 erhielt ich ein Telegramm aus Berlin vom Palaestina-Amt, dass ich sofort nach Berlin kommen solle, um mich fuer die Abreise vorzubereiten. Meine Mutter hatte waehrend meines Aufenthaltes in Frankfurt unseren Haushalt in Bayreuth aufgeloest und befand sich in Berlin; meine Brueder Heinz und Gerd waren schon vorher weg. Anfang September war unsere Jugengruppe bereit zur Abfahrt nach dem Hafen von Marseille. Ein Sonderzug, den das „Palaestina-Amt“ von der deutschen Bahnverwaltung gemietet hatte, stand auf dem Anhalter Bahnhof und wartete auf uns. Meine Mutter war auch dort. Ich stand am Fenster des Zuges. Endlich begann der Zug zu fahren. Ich zog ein Taschentuch aus meiner Tasche, meine Mutter tat dasselbe und wir winkten und winkten und langsam wurde sie kleiner und kleiner bis sie verschwand. Seitdem habe ich sie nie wieder gesehen.
   
Fortsetzung 1
... zur Fortsetzung meiner Odyssee. Ich bin im Zug nach Marseille zusammen mit noch 29 Knaben und Maedchen unserer Jugendgruppe auf der Fahrt ins Ungewisse, um mitzuhelfen, einen juedischen Staat zu errichten. Wir sind uebergluecklich der Nazihoelle entkommen zu sein. Einen letzten Nachgeschmack von Nazibrutalitaet hatten wir noch bei der Passkontrolle der SA vor der Grenzueberfahrt von Kehl nach Strassburg.
Der Zug hielt in Marseille auf dem Hafengelaende und der Passagierdampfer „Patria“ wartete auf uns. Wir bestiegen das Schiff und wurden zu unseren kollektiven, dunklen Schlafraeumen tief unten im Schiff unter der Wasserlinie gebracht. Die Route ging ueber Alexandrien in Aegypten wo wir einige Stunden am Quai ankerten ohne das Schiff zu verlassen, nach Haifa, dem einzigen Tiefseehafen im damaligen Palaestina.
Kurz vor dem Beginn unserer Reise waren in Palaestina „Unruhen“ ausgebrochen. In der Retrospektive kann man von einer ersten „Intifada“ sprechen. Die Araber kaempften damals gegen die juedische Einwanderung so wie heute gegen die Existenz des juedischen Staates. Juedische Siedlungen wurden  hauptsaechlich in der Nacht beschossen. Juden wurden in arabischen Doerfern und Staedten ermordet, Landminen legten den Verkehr lahm u.s.w.
Als die „Patria“ am Quai in Haifa anlegte und wir vom Schiffgelaender hinunter schauten, sahen wir Maenner mit grossen Schlagstoecken die uns – so erklaerte man uns – vor Angriffen arabischer Hafenarbeiter schuetzen sollten.
Kurz danach brachte uns ein Bus in den „Kibbuz Rodges“, ein streng religioeser Kibbuz ganz neben dem Dorf (heute eine Stadt) Petach Tikwah, etwa 10 Kilometer oestlich von Tel Aviv. Fuer unsere Unterkunft hatte man Zelte errichtet. Es waren relativ kleine kegelfoermige Zelte, die von einer zentralen Stange getragen wurden, sodass man wenigstens in der Mitte des Zeltes aufrecht stehen konnte. Einige Wochen spaeter wurden wir aufgefordert, in gebaute Haeuser umzuziehen.  Dort war es so eng, dass ich es vorzug, allein in meinem Zelt zu bleiben und wohnte zwei Jahre darin. Es war zwar sehr heiss im Sommer und im Winter sehr kalt, aber ich gewoehnte mich daran. In einem starken Wintersturm klappte das Zelt sogar einmal mitten in der Nacht ueber mich zusammen. Woran ich mich nicht gewoehnte, war meine seelische Einsamkeit und die fehlende familiaere Waerme. Als Jugendliche der Jugendaliya mussten wir einen halben Tag arbeiten und in der zweiten Haelfte lernten wir verschiedene Faecher, um unsere unterbrochene Schulausbildung zu ergaenzen. Darunter war natuerlich auch Iwrit (Neuhebraeisch).
 
Mein erster Arbeitsplatz war in den Huehnerstaellen und dort hauptsaechlich bei den Inkubatoren fuer die Kuekenzucht. Es war ganz interessant und ich hatte nie genug davon, die kleinen Kueken bei ihrem Ausschluepfen aus den Eiern zu beobachten. Sonst haben mich diese Viecher eher gelangweilt. Diese Huehner sind so bloed, dass man nicht die geringste Beziehung mit ihnen herstellen kann. Es ist mir manchmal gelungen, einen Hahn zu hypnotisieren. Aber das war schon Alles. Sie litten sehr an Augenentzuendungen und in sehr schweren Faellen landeten die Patienten in der Kibbuzkueche.
Ich verspeiste damals nur Gemuese. Der Kibbuz war so arm wie eine Kirchenmaus (Pardon! Synagogenmaus) und die Verpflegung war sehr mangelhaft. Wir befuerchteten Symptome von Unterernaehrung und ich ergaenzte meine Diaet indem ich angeschlagene Eier ausdrank. Scheusslich!
 
Nach sechs Monaten mit dem Federvieh kam ich zur Feldarbeit und zur Arbeit in den Orangenplantagen. Auf dem Feld liebte ich besonders das Maehen mit der Sense. Es war wie ein rythmischer Tanz oder ein aerobischer Sport. Weniger Spass hatte ich mit den Orangen, ausser wenn sie bluehten. Was fuer ein herrlicher Geruch! Der Duft hat narkotische Eigenschaften und man will dabei einschlafen. Dagegen war die Bewaesserung der Orangenbaeume eine Tortur. Man musste dabei mit einer „Turiah“ (eine teuflische arabische Erdhacke!) eine flache Erdgrube rings um den Baum ausschaufeln und sie mit Wasser vollaufen lassen. Allein von der Beschreibung dieses Vorgangs beginnt mein Ruecken zu schmerzen. Nach ungefaehr einem Jahr machte ich Bekanntschaft mit den Kuehen – inklusive ihrem Geschlechtsleben. Der Kibbuz selber hatte keine Kuehe, aber neben dem Kibbuz war eine noch religioesere Siedlung von baertetragenden Bauern, die alle Kuhstaelle hatten.
 
Der Kibbuz lieh mich als Kuhknecht an einen dieser Bauern aus. Er hatte ungefaehr 15 Kuehe und ich melkte sie alle zweimal am Tag. Fuer die Morgenmolkerei musste ich um 4 Uhr in der Frueh aufstehen. Danach ging ich wieder in den Kibbuz zurueck, duschte mich und schlief wieder ein. Es war eine unangenehme Zeit. Ich konnte unter der Dusche eine Ewigkeit stehen, ohne dass es mir gelang, mich von dem Kuhgeruch zu befreien. Interessanter war es, das Geschlechtsleben der Kuehe zu beobachten. Wenn Kuehe maskuline Gesellschaft wuenschen, so deuten sie es damit an, dass sie auf andere Kuehe springen als ob sie Stiere seien. Sooft ich so etwas sah musste ich die springende Kuh zu einem Rendevous mit einem Stier in Petach Tikwah bringen. Dieser Stier war der Vater aller Kaelber des ganzen Bezirks.Als Zuhaelter fuehrte ich also die Kuh, zu Fuss, zum Stier der sich offentsichtlich darueber freute.
 
Zum Abschluss meiner landwirtschaflichen Lehre wurde ich im letztem halben Jahr meiner Jugendaliyazeit einem Tierarzt namens Dr. Faerber in Petach Tikwah zugeteilt. Mit ihm fuhr ich Tag fuer Tag im ganzen Bezirk von Kuhstall zu Kuhstall als Kaelbergeburtshelfer herum. Noch etwas habe Ich vergessen. Auch ich hatte Reiterallueren. Wir hatten im Kibbuz einen Hengst. Er hatte einen alttestamentarischen Namen den ich vergessen habe. Im Laufe der Woche zog er einen Wagen und am Sabbath ruhte er. Am Abend solch eines Sabbaths, als er ausgeruht war, fuehrte ich ihn aus dem Stall und schwang mich auf seinen Ruecken – ohne Sattel und ohne Zuegel! Ich hielt mich nur an der Maehne fest. Er warf mich ab und gallopierte davon. Gluecklicherweise fiel ich auf Sand und erlitt keine Verletzung oder Bruch.
 
Mit Dr. Faerber war meine Karriere als Landwirt beendigt. Als ich spaeter auf Anordnung der englischen Mandatsbehoerde eine palaestinaensische Idenditaetskarte tragen musste, war als Beruf  „Agricultural Worker“ (auf Deutsch: „Landarbeiter“) eingetragen. Ich habe diese Karte noch immer und behuete sie wie einen Schatz. Noch etwas, fuer meine Zukunft sehr Wichtiges, moechte ich hinzufuegen. Ich trat der „Hagana“ bei! („Hagana“ ist das hebraeische Wort fuer „Verteidigung“). Es war die juedische Selbstverteidigungsorganisation, die auf Grund schlechter Erfahrungen mit den englischen Sicherheitskraeften schon im Jahre 1920 gegruendet worden war. Im Jahre 1948 wurde sie zum Nucleus der heutigen israelischen Armee.

Gleichzeitig mit der Beendigung meiner Jugendaliyah erhielten Mitglieder der Hagana von der „Jewish Agency for Palestine“ (dies war die Vertretung der juedischen Bevoelkerung Palaestinas gegenueber der britischen Mandatsbehoerde; sie war fast wie ein Staat im Staate) die Mitteilung, dass sie mit der Einwilligung der Mandatsbehoerde eine paramilitaerische Formation gruenden wollte, die bei der Unterdrueckung des arabischen Aufstandes mithelfen solle. Da dies in Wirklichkeit eine mobilisierte Einheit der Hagana werden sollte, bat die Agency um Freiwillige aus den Reihen der Hagana. Ich meldete mich und damit begann meine militaerische Karriere.
   
Fortsetzung 2
Ich schloss in meinem vorherigen Bericht damit, dass ich mich 1938 zu den sogenannten „Foshim“ gemeldet hatte. „Foshim“ ist ein Kuerzel fuer diese auf hebraeisch genannte, damals neuartige  militaerische Formationen der „Hagana“. Bis zur Begruendung dieser Formationen begnuegte man sich damit, die juedischen Siedlungen durch Wachposten rings um die Siedlung gegen etwaige arabische Angriffe zu verteidigen. Die Aufgabe der „Foshim“ war es die arabischen Angreifer im freien Gelaende zu konfrontieren und zu bekaempfen, d. h. direkte Angriffe auf Siedlungen zu verhindern.
Die Leitung der „Hagana“ legte hohes Gewicht auf die militaerische Ausbildung ihrer Mitglieder, und unter anderen Kursen beschloss sie auch einen Kurs zur Ausbildung von Instruktoren von Militaerischer Topography abzuhalten. Ich wurde aufgefordert an diesem Kurs teilzunehmen.  Der Kurs dauerte zwei Wochen und von da an diente ich in der Ausbildungsabteilung der „Hagana“. Meine neue Beschaeftigung war es, im Lande herumzufahren und den kaempfenden Formationen der Hagana „Militaerische Topographie“ beizubringen. Bei einer meiner Fahrten lernte ich Judith Donath kennen. Sie war fast zu derselben Zeit wie ich – ebenfalls alleine – nach Palaestina gekommen. Sie war aus Wien. Wir verliebten uns und heirateten. Ein Jahr spaeter kam unser Sohn Dani zur Welt. Leider hielt die Ehe nicht lange und wir beschlossen nach zwei Jahren, uns zu trennen. Dani blieb bei ihr. Ein paar Jahre spaeter heiratete Judith wieder und zwar einen Freund von mir aus meiner Kibutzzeit.
Die Zeit des Krieges stand unter der Befuerchtung, dass das deutsche Afrikakorps unter Erwin Rommel ganz Nordafrika erobern koennte und dann in Palaestina einmarschiert. Das waere fuer uns alle das Ende gewesen. Gottseidank blieb uns dieses Schicksal erspart.
   
Fortsetzung 3
Nach Ausbruch des Weltkrieges 1939 legte sich der arabische Aufstand in Palaestina. Die Hagana loeste die „Foshim“ auf und bildete statt dessen mehr militaerisch ausgerichtete Formationen, die „Palmach“ genannt wurden.Gleichzeitig wurde – mit Einverstaendnis des englischen Militaers – die freiwillige Mobilmachung einer „Jewish Brigade“ („Juedische Brigade“) bekannt gegeben. Diese Brigade war als eine vollkommen in die englische Armee integrierte Kampfeinheit vorgesehen. Ich wollte mich dazu melden, aber die Leitung der Hagana war dagegen und schlug mir vor, dass ich statt dessen bei den Vorbereitungen fuer die Nachkriegszeit mitwirken sollte. Diese beruhten auf der fast sicheren Annahme, dass sich der arabische Aufstand nach dem Krieg erneuern wird und dass dabei die Haltung der englischen Mandatsbehoerden im besten Falle neutral oder im schlimmeren Fall, proarabisch sein wird. Es war auch mit der Moeglichkeit zu rechnen, dass die Englaender sich nach dem Krieg  vollkommen zurueckziehen  und uns in unserer Konfrontation mit der arabischen Welt alleine lassen wuerden.
Ich wurde zum Leiter der technischen Abteilung der Hagana ernannt. Als solcher war es meine Aufgabe alle taktischen und strategischen Unterlagen fuer einen kommenden, allumfassenden militaerischen Konflikt vorzubereiten. Die Hagana verstaerkte auch ihre Ausbildungstaetigkeit, indem sie das Niveau und die Frequenz der Ausbildungskurse, hauptsaechlich fuer zukuenftige Offiziere, erhoehte. Ich setzte meinerseits meine Lehrtaetigkeit auf dem Gebiet der militaerischen Topographie fort.
 
Kurz nach dem Ende des Weltkrieges erneuerten die Araber, wie wir erwartet hatten, ihren Aufstand. Inzwischen war die UNO gegruendet worden und eine von dort gesandte Kommission empfahl, Palaestina in zwei selbststaendige Staaten zu teilen: einen juedischen und einen arabischen. Am 14. November 1947 stimmte die Generalversammlung der UNO darueber ab und bestaetigte diesen Plan. Nach der Abstimmung feierte Tel Aviv wie ich es noch nie gesehen habe. Wildfremde Menschen umarmten sich, weinten vor Freude und tanzten die ganze Nacht. Wir Juden akzeptierten diesen Beschluss – die Araber lehnten ihn ab. Sie wollten das ganze Land.
Inzwischen hatte die Englische Regierung beschlossen, ebenfalls wie von uns erwartet, Palaestina aufzugeben und am 15. Mai 1948 verliess der letze englische Soldat das Land.
Ein Tag vorher, am 14. Mai 1948, erklaerte David ben Gurion in einer feierlichen Sitzung im Tel-Aviver Kunstmuseum, die Errichtung eines Juedischen Staates mit dem Namen „Israel“. Am naechsten Tag ueberschritten die Armeen und Kontingente von sieben arabischen Staaten die Grenzen von Palaestina mit dem festen Entschluss, uns zu vernichten: Aegypten, Syrien, Jordanien, Saudi Arabien, der Libanon, der Irak und der Yemen. Damit begann unser Unabhaengingkeitskrieg.
Am selben Tag wurde die Hagana zur offiziellen Armee des Staates Israel erklaert. Wir zogen Uniformen und Rangabzeichen an. Jeder von uns Instruktoren, Offizieren und Abteilungsleitern erhielt einen militaerischen Rang.
Der hoechste Rang, nach dem des Generalstabschefs, war „Aluf“ (dies entsprach einem „Colonel“). Ich wurde ein „Sgan Aluf“ (das entspricht einem Lieutenant Colonel).

Fortsetzung 4
Ich bin beim Ausbruch unseres sog. „Unabhaengigkeits Krieg“ angelangt und bevor ich weiterfahre, moechte ich meinen letzten Bericht mit drei Photos aus jener Zeit ergaenzen. Photos aus der Untergrund-Zeit sind fast keine mehr erhalten, da wir sie aus Sicherheitsgruenden und Vorsicht vor der englischen Geheimpolizei und eventuellen Hausdurchsuchungen fast alle vernichteten.

Juara.jpg

Das erste Photo mit dem Namen Juara.jpg (ausgesprochen: Tschuara) ist aus dem Jahre 1946/47 und ist ein Gruppenbild eines Hagana-Kurses fuer die Ausbildung von Instruktoren fuer Militaerische Topographie. Er fand in einer alten verlassenen und abgelegenen arabischen Karawanserei statt, von wo auch der exotische Name herstammt. In der vordersten Reihe stehe ich, der dritte von rechts mit einer Brille, mit beiden Haenden in den Hosentaschen und von der Faltlinie des Photos in zwei Haelften geteilt. Ich war der Leiter und Lehrer des Kurses. Direkt neben mir steht das einzige Maedchen unter den Teilnehmern. Sie war in den arabischen Doerfern in Galilea (der noerdliche Teil von Israel) als die „blonde Teufelin die fuer die Juden kaempft“ bekannt. Sie ist heute eine beliebte und bekannte Schriftstellerin, die hauptsaechlich ueber jene Zeiten schreibt.
Ein Anderer, den ich erwaehnen will, ist der Mittlere in der zweiten Reihe von oben, der scheinbar etwas in die Luft hinausschreit. Wir nannten ihn „Ghandi“. Er wurde ein Minister in der Regierung von Ariel Sharon und wurde vor drei Jahren von einem arabischen Terroristen erschossen. Einige Andere wurden spaeter Universitaetsprofessoren. Der Esel diente dazu, uns mit Lebensmitteln aus einem naheliegendem Kibbutz zu versorgen. Das Haus im Hintergrund war der Speise und Lehrsaal.


Apell.jpg
Chronologisch ist Appell.jpg das zweite Photo. Es wurde am 28. Juni 1948 aufgenommen und braucht einige Erklaerungen. In dem Gebaeude im Hintergrund, (das in der Mitte von Tel Aviv steht), war das Landesvermessungsamt der Mandatsbehoerden, in dem Englaender, Araber aus Jaffa und Juden aus Tel-Aviv jahrelang nebeneinander und miteinander gearbeitet hatten. Seit dem erneuten Aufflackern des arabischen Aufstandes im Jahre 1946/47 war der Verkehr zwischen Jaffa
und Tel Aviv unterbunden, sodass die arabischen Beamten, die in Jaffa wohnten, nicht mehr zur Arbeit kommen konnten, waehrend die Englaender, wie ich Euch schon berichtet habe, Palaestina zu dieser Zeit bereits verlassen hatten. Das Vermessungsamt war praktisch lahmgelegt und wir von der Hagana erhielten von der bereits funktionierenden israelischen Regierung die Erlaubnis, unsere Taetigkeit in dieses Haus zu verlegen. Das Bild zeigt den Appell im Hof des Hauses. Ich lese dort den Tagesbefehl des Generalstabschef vor, dem gemaess die Hagana von nun an die offizielle Armee Israels wurde. Das Photo Pinhas_Mifkad.jpg zeigt mich, in Nahaufnahme, waehrend ich diesen Befehl vorlese. Im Hintergrund, auf dem Dach, wird gleichzeitig die israelische Fahne mit dem Davidsstern gehisst.

Pinhas_Mifkad.jpg

Fortsetzung 5
Wir stehen am Beginn unseres „Unabhaengigkeitskrieges“ oder wie er auch genannt wird „Der Befreiungskrieg“ und ich moechte nur die fuer mich wichtigsten persoenlichen Ereignisse dieser Zeit beschreiben. Eine genaue historische Beschreibung der Kaempfe, die von der Uno geforderten Unterbrechungen und das Problem unserer Waffenbeschaffung ist in jedem relevanten Geschichtsbuch beschrieben und es wuerde zu weit fuehren, wenn ich den detaillierten Verlauf jener Zeit wiederhole.
 
Noch bevor die von mir geleitete technische Abteilung der Hagana in das Gebaeude der veroedeten Landesvermessung einzog (siehe Fortsetzung 4) hatte ich dem Generalstab der Armee die Aufloesung der technischen Abteilungt der Hagana nahe gelegt. Statt dessen schlug ich vor, einen sogenannten „Karten und Luftphotodienst“ als Teil der israelischen Armee zu bilden. Der Generalstab antwortete mir darauf: „Go ahead!“ (auf  Deutsch: „Tue es !“).
Die Aufgaben dieser neuen Formation aehnelten denen der gewesenen technischen Abteilung. Wir hatten dafuer zu sorgen, dass jede Komando- und Kampfgruppe die noetigen topographischen Karten in jeder erforderlichen Menge und in kuerzester Zeit erhielt. Da nicht alle Teile Palaestinas in der Zeit der Mandatsregierung vermessen und kartiert worden waren (wie zum Beispiel der suedliche Teil des Landes – der Negev) mussten auch die notwendigen Ergaenzungen dringenst geschaffen werden. Ausserdem mussten die existierenden Karten fortgefuehrt werden. Die juedische Einwanderung – legal und illegal – hatte grosse Teile des Landes veraendert und die Karten veraltert. All dies geschah mit Hilfe von Luftaufnahmen. Zu den Zeiten der Hagana machten wir das am Anfang selbst, und zwar durch Aufnahmen, die wir von gemieteten Sportflugzeugen knipsten. Wir banden uns damals die Kamera – es war meistens eine Leica – um den Bauch, damit die englischen Wachposten uns durchliessen. Es war verboten, aus der Luft zu fotografieren. Jetzt aber bestellten wir die Photos von der Luftkompanie des Palmach und spaeter von der israelischen Luftwaffe. Wir wollten auch dreidimensionale topographische Modelle erzeugen, damit die taktischen Besprechungen von  geplanten militaerischen Aktionen schneller und genauer durchgefuehrt werden konnten. Bis jetzt mussten Modelle des Gelaendes mit stundenlanger Arbeit in einem Sandkasten geformt werden  Der Einmarsch der arabischen Armeen wurde mehr oder weniger durch den Einsatz der Palmachkraefte der Hagana zum Stillsstand gebracht. Der Palmach erlitt schwere Verluste aber der Kampfgeist und die Moral dieser Gruppen war unbeschreiblich hoch. Ich bin ueberzeugt davon – und mit mir fast alle israelischen Analysten, dass der Palmach Israel gerettet hat. Um unsere Aufgaben erfuellen zu koennen, brauchten wir professionelle Kraefte. Zunaechst wurde natuerlich die Mannschaft der ehemaligen technischen Abteilung gemustert und fuer den Dienst in der Armee vereidigt. Ein allgemeiner Mobilmachungsbefehl der Regierung verpflichtete alle Maenner im Alter von 18–45 und unverheiratete, kinderlose Frauen, sich sofort zu den dafuer erstellten Auffangslagern zu begeben. Wir hatten diese Stellen angewiesen, uns Offsetdrucker, technische Zeichner, Landvermesser, Photographen usw. zum Vorstellungsgespraech zu schicken. Ausserdem hatte die englische Armee zur Zeit des zweiten Weltkrieges eine Kompanie der „Juedischen Brigade“ fuer genau die Funktionen ausgebildet, die wir brauchten. Es hatte sich herum gesprochen, dass wir sie suchen und fast alle erschienen bei uns unaufgefordert. Sofort gliederten wir sie bei uns ein.
 
Und nun kommt der Teil, der fuer mich persoenlich der wichtigste fuer mein zukuenftiges Leben war.



Eines Tages sagte mir meine Sekretaerin, dass mich eine junge Dame sehen wolle und sie einen Brief fuer mich haette. Ich bat sie in mein Buero (siehe Photo: Pinchas im Buero.jpg) und sie uebergab mir den Brief. Er war von einem befreundeten Haganakollegen, einem Architekten, der mir folgendes schrieb:

Lieber Pinchas,
Die Ueberbringerin dieses Briefes ist eine Neueinwanderin. Sie hat den Holocaust ueberlebt, ist in der Chechoslovakei geboren und hat in Prag an der Kunstakademie Bildhauerei studiert. Sie heisst Agi Izakova und hat Anweisungen erhalten, sich zum Militaerdienst zu melden. Ich empfehle Dir, sie unter Deine Obhut zu nehmen. Ich habe gehoert, dass Du dreidimensonale topographische Gelaendemodelle anfertigen willst. Vielleicht kann sie dabei helfen.
                                                          Shalom
                                                                 S. . .
Ich sagte ihr, dass wir ihre Kenntnisse braeuchten und fuegte hinzu, dass diese topographischen Modelle weder impressionistisch oder expressionistisch noch abstrakt sein duerften. Sie lachte und versprach, streng figurativ und realistisch zu bleiben. Nachdem sie ging, sagte ich zu meiner Sekretaerin: „Hast du die junge Dame gesehen? Die werde ich heiraten!“
Nach zwei Wochen elementarer Rekrutenausbildung meldete sie sich wieder bei mir und gab mir einen feschen Salut.
Wir besprachen das Projekt der topographischen Modelle und sie begann diese Abteilung zu errichten. Ich gab ihr nie einen militaerischen Rang, da ich vermeiden wollte, dass man mich der „Vetterliwirtschaft“ (wie die Schweizer das nennen) bezichtigte. Sie beschwert sich noch heute darueber – nach ueber 55 Jahren Ehe. Und ich erinnere sie dann daran, dass wir einen aelteren Soldaten hatten – einen frueheren Berliner –, der sie nach unserer Hochzeit allen Ernstes mit „Frau Oberstleutnant“ ansprach. Zwei Photos von Agi von damals, bei der Bearbeitung von topographischen Gipsmodellen, fuege ich diesem Brief bei.





Die Kaempfe gegen die eingedrungenen arabischen Kraefte gingen weiter bis ungefaehr ein Jahr spaeter – mit Unterstuetzung des Uno-Gesandten Ralph Bunch – auf der griechischen Insel Rodos ein Waffenstillstandsabkommen zwischen Israel und den arabischen Staaten unterzeichnet wurde. Das Resultat des Krieges war, dass wir ein etwas groesseres Territorium beherrschten als es uns durch den urspruenglichen Teilungsplan zugesprochen war. Leider wurden bei diesem Abkommen die Waffenstillstandslinien auf Karten im Masstab 1:250.000 mit einem gruenen Farbstift (die „Gruene Linie“) mit einer zu dicken und ungespitzten Graphitmine eingetragen und unterschrieben. Die handgezeichneten Linien waren ungefaehr ein- bis eineinhalb Millimeter breit. In diesem Masstab sind das ueber 250 Meter im Gelaende. Dies gab oft Anlass zu jahrelangen lokalen Streitigkeiten. Nach dem Waffenstillstand hielten wir mit Einwilligung des Generalstabs ein Pressekonferenz ab. Es gab damals sechs verschiedene hebraeische Tageszeitungen und auch eine in deutscher Sprache.  Der nachstehende, hier relevante Artikel ist ueberschrieben mit: „Generalstabskarten der Israel Armee – Tozereth Haaretz“. („Tozereth Haaretz“ ist der gelaeufige hebraeische Ausdruck fuer „Made in Israel“).



Ein Jahr nach dem Waffenstillstand schrieb ich einen persoenlichen Brief an den Generalstabschef, der damals der bekannte Archeologe Prof. Yigal Yadin war, und bat um seine Einstimmung zu meiner Abdankung und Entlassung aus dem Militaerdienst. Er rief mich zu sich und wollte den Grund dafuer wissen. Ich erklaerte ihm, dass sich nach meiner Auffassung Israel nun, nach dem Waffenstillstandsabkommen, normalisieren muesste und es abnormal sei, dass ich, der nicht einmal ein Abitur hat und keinerlei professionelle akademische Ausbildung genossen hat, eine fuehrende Stellung im israelischen Vermessungs- und Kartierungswesen einnehmen soll. Die Armee wuerde es beipielsweise auch nicht zulassen, dass ein Militaerspital von einem Mann geleitet wird, der nicht einmal ein diplomierter Sanitaeter ist. Yadin fragte mich, ob ich bereit waere, weiter im Militaer zu bleiben, wenn das Militaer mein Studium finanzieren wuerde. Allerdings muesste ich mich in diesem Fall fuer jedes Studienjahr zu zwei Jahren Militaerdienst verpflichten. Ich sagte „Ja“. Und dann wollte Yadin wissen, wo ich studieren wollte und wieviel Jahre ein Studium auf meinem Gebiet dauere. Ich sagte: „Die beste Universitaet auf diesem Gebiet ist die Eidgenoessische Technische Hochschule (ETH) in Zuerich und der Vorstand der dortigen Abteilung fuer Geodesie und Kartographie’ ist Prof. Eduard Imhof, der beste lebende Kartograph. Das Studium dauert vier Jahre und ich bin bereit, fuer jedes Studiumjahr zwei weitere Jahre in der israelischen Armee zu dienen.“ Darauf sagte Yadin: „Gut so. Bespreche die administrativen Angelegenheiten mit meinem Sekretaer und viel Glueck fuer deine akademische Zukunft.“
Um diesen Traum zu verwirklichen, musste ich allerdings noch zwei Hindernisse ueberwinden. Zunaechst musste ich ein Abitur haben. Ohne ein Abitur haette mich die ETH nie aufgenommen. Das israelische Erziehungsministerium hatte erfreulicherweise fuer Faelle wie dem meinen die Moeglichkeit geschaffen, externe Abiturpruefungen abzulegen. So begann ich, mich darauf vorzubereiten.
Agi wurde schwanger und am 19.5.1951 kam Rafi zur Welt. Wir waren sehr sehr gluecklich und sind es mit ihm bis auf den heutigen Tag.
Ende 1951 bestand ich die Abiturpruefung und meldete mich bei der ETH in Zuerich an. Sie informierten mich, dass sie zwar mein Abitur akzeptieren aber jeder Applikant, der ein nicht schweizerisches Abitur hat, eine zusaetzliche Aufnahmepruefung bestehen muss. Das wusste ich und auch, dass Albert Einstein, der ein Reifezeugnis aus der Stadt Ulm hatte und an der ETH studieren wollte, bei seinem ersten Versuch die schweizerische Aufnamepruefung nicht bestand und sie wiederholen musste. So fuhr ich zwei Monate vor Semesterbeginn alleine nach Zuerich und bereitete mich dort auf die Aufnahmepruefung vor. Trotz der Erfahrung Albert Einsteins bestand ich die Pruefung beim ersten Versuch. Kurz danach kam Agi mit dem nun schon einjaehrigen Rafi und unser vierjaehriges Studentenleben in Zuerich begann.

Fortsetzung 6
 
Wir sind in Zuerich angekommen und fuer mich war es Liebe auf den ersten Blick. Ich fuehlte mich praktisch wie zurueckversetzt in meine Kindheit ohne das Nazi-Trauma.

Wie ich Euch schon schrieb, hatte ich die Aufnahmepruefung bestanden und das Studium auf der Abteilung fuer Geodesie und Kartographie begann. Die anderen neuen Studenten – viel juenger als ich – waren sympatisch, die Professoren waren beeindruckend und die physischen Bedingungen waren hervorragend. Das Hauptgebaeude der ETH, in dem sich die Abteilung befand, war von dem Architekten Gottfried Semper gebaut, derselbe Semper der die beruehmte Oper in Dresden gebaut hatte. Ich fuehlte mich darin wie in einem Kloster der Wissenschaft.



Diese vier Jahre in Zuerich waren fuer mich ein grosses intellektuelles, menschliches und aesthetisches Erlebnis. Ich hatte und habe noch immer das Gefuehl, dort ein zweites Mal geboren worden zu sein und ich bin der israelischen Armee, der Schweiz und auch der Agi, deren Leben dort nicht leicht war, dafuer immer dankbar.

Ich fuege diesem Brief einige Photos aus jener Zeit bei. Das Photo von Rafi, Agi und dem Schwan ist natuerlich am Zuerichsee aufgenommen worden und ich, inmitten der Urner Alpen, mache Vermessungsuebungen.







Auf dem Heimflug, nach der gluecklichen Beendigung meines Studiums (Dipl. Ing. ETH), sagte ich zu Agi: „Ich bin jetzt 36 Jahre alt. Nachdem ich die acht Jahre, fuer die ich mich verpflichtet habe weiter in der Armee zu dienen, absolviert habe, werde ich 44 Jahre alt sein. Immer noch jung genug um mit einer akademischen Karriere zu beginnen.“
Am Tag nach unserer Ankunft meldete ich mich wie abgemacht beim Generalstabschef der Armee. Er gratulierte mir zum erfolgreichen Abschluss meines Studiums. Dann sagte er mir: „Yaakov Dori, der fruehere Leiter der Hagana und der Kommandant der Armee im ‚Befreiungskrieg’ ist inzwischen Praesident des Technion – (der Technischen Universitaet Israels in Haifa) geworden und hat erfahren, dass Du bald zurueckkommst. Der Vorstand der Abteilung fuer Geodesie und Kartographie des Technions tritt in den Ruhestand und Dori bittet uns, auf Dich zu verzichten, damit Du die Abteilung am Technion uebernehmen kannst. Wir koennen Doris Bitte nicht abschlagen und fragen Dich, ob Du damit einverstanden bist.“ Ich fuehlte, dass ich vor lauter Freude in einen wilden Indianertanz mit einem Kriegsbeil ausbrechen wollte, beherschte mich jedoch und sagte kuehl: „Ich moechte es mir ueberlegen“. Wir machten ein weiteres Treffen aus und ich raste nach Hause und sagte – ich glaube atemlos – zu Agi: „Ein Wunder ist geschehen! Man hat mir acht Jahre geschenkt!“
Beim abgemachten Termin sagte ich dem Armeechef, dass auch ich den Wunsch Doris nicht abschlagen kann und ich mich mit ihm in Verbindung setzen werde. Ich wurde nun als Reserveoffizier vom Militaer befreit und dem Generalstab als Reservist zugeordnet.

Und so begann mein akademisches Leben. Universitaeten sind hierarchische Institutionen und an israelischen Universitaeten ist die Rangordnung, die den amerikanischen Universitaeten angepasste: Assistent, Instructor, Lecturer, Senior Lecturer, Associated Professor, Professor und im Ruhestand Professor Emeritus. Ich begann meine Lehrtaetigkeit am Technion im Jahre 1957 als Lecturer, wurde im Jahre 1960 Senior Lecturer und 1966 Associated Professor. 1967 uebersiedelten wir von Haifa nach Tel Aviv, wo ich der Geographischen Abteilung beitrat und die ordentliche Professur (in Deutschland frueher auch „Ordinarius“) erhielt.
Heute bin ich im sogenannten Ruhestand – ein Professor Emeritus oder wie man auf deutsch auch sagt: ein „emeritierter Professor“. Mein akademisches Hauptgebiet ist computergestuetzte Kartographie, d.h. ich habe ziemlich frueh versucht, Computern beizubringen, Karten zu berechnen und zu zeichnen und dies hauptsaechlich auf Grund von Luftaufnahmen. Ich blieb also meinem Interessengebiet aus den Zeiten der Hagana treu.
 
Unsere Universitaeten – es gibt heute sechs – haben erfreulicherweise auch das System des „Sabbatical Year“ (Forschungsfreisemester) von den amerikanischen Universitaeten uebernommen. Beginnend vom Rang eines „Senior Lecturer“ kann man jedes siebte Jahr an einer anderen Universitaet unterrichten oder Forschung betreiben. Ueberall auf der Welt! Natuerlich muss man dafuer eingeladen werden. Ich habe davon ausgiebig Gebrauch gemacht und bin Einladungen sowohl fuer ein ganzes Jahr, als auch fuer die Zeit der Sommerferien gerne gefolgt. Wir waren fuer ein halbes Jahr in Schweden und  die andere Haelfte in Edinburgh (Schottland). In Australien waren wir zweimal und in der Schweiz als Gastprofessor an der ETH und der Zuercher Universitaet. Ein weiteres Jahr waren wir in den USA an der Universitaet von Wisconsin in Madison. Auch Agi hat in Australien und in den USA an Kunstabteilungen Keramik unterrichtet.
Ich hatte sogar eine Einladung von der Universitaet Bayreuth. Leider konnte ich sie aus Zeitmangel nicht annehmen. Ich will Euch nicht alle Auslandsaufenhaelte aufzaehlen aber im Ganzen haben wir, von Beginn meiner akademischen Taetigkeit bis heute, eine Zeitspanne von zwoelf Jahren in allen moeglichen Laendern verbracht.
 
Heute ruhen wir uns auf unseren „Lorbeeren“ aus und zum Abschluss meiner Lebenserinnerungen moechte ich Euch ein kurzes Gedicht von Christian Morgenstern, meinem liebsten deutschen Dichter, aus dessen Sammlung der sogenannten „Galgenlieder“schicken.

                                Die beiden Esel

                         Ein finstrer Esel sprach einmal
                         zu seinem ehlichen Gemahl:

                         „Ich bin so dumm, du bist so dumm,
                          wir wollen sterben gehen, kumm.“

                          Doch wie es kommt so oefter eben,
                          die beiden blieben froehlich leben.

                                          Mit vielen lieben Gruessen
                                                 Agi und Pinchas

 
Nachtrag
Prof. Dr. Pinhas Yoeli  verstarb am 4. November 2011.
 
Nachwort
Der Sohn von Pinchas und Agi Yoeli, Dr. Rafi Yoeli, arbeitet seit vielen Jahren äusserst erfolgreich an der Entwicklung des fliegenden Automobiles. Besuchen Sie die Internetseite des vom ihm gegründeten Unternehmens Urban Aeronautics Ltd. (UrbanAero). Diese Arbeit hatte Pinhas Yoeli in den letzten Jahren mit grossem Stolz erfüllt.

Die folgenden Fotos stammen von dort (alle Rechte vorbehalten).
   
City X-Hawk                                                           Der X-Hawk mit seinen verkleideten Rotoren


rechts: die Sitzverteilung im grossen X-Hawk

unten: der X-Hawk im Rettungseinsatz

Prof. Pinhas Yoeli (mit Kamera) und Dr. Rafi Yoeli - beide rechts unten im Bild - bei einer erfolgreichen Demonstration des senkrecht startenden X-Hawk